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Wie Kinder, die erkennen,
dass ihre Eltern keine Götter sind,
sind wir, wenn wir uns von gesellschaftlichen Konventionen lösen,
um eigene, bessere Wege zu finden.
Warum lebe ich so?
Wir haben viel Wohlstand, aber keinen Mut. Wir gehen nicht unseren eigenen
Weg, sondern wir schauen, ängstlich, was die anderen tun – um dann
dasselbe zu tun, was die anderen tun, was alle tun, was die Masse tut.
In Büchern und Filmen finden wir es toll, wenn jemand einen eigenen
Weg geht. Aber in der Realität mutet es doch recht skurril an.
Wir haben Angst, belächelt zu werden, würden wir
ausscheren und dabei Fehler machen, Irrtümer
begehen – auf dem Weg, der doch aber unser eigentlicher
ist. Und deshalb gehen wir brav und unauffällig mit der
Masse in jedwede Richtung, damit die Masse nicht
abfällig lächelt, nicht spottet, damit "die
anderen" keine Kommentare abgeben.
Bei der Masse aber ist nicht mein Traum, mein Weg. Und so stellt sich mir die Frage:
Warum lebe ich denn dann so?
Ist der Beifall der Masse denn wirklich so viel wert, dass ich nicht mehr in den
Spiegel schauen will? Habe ich so viele Sicherheiten
aufgehäuft und aufgebaut, dass ich bereit bin, zu
vergessen, wer ich eigentlich bin? Ist meine Präsenz in der
Masse von so großer Unentbehrlichkeit, dass sie
meine Freiheit aufwiegen könnte?
Oder habe ich Angst vor Verwahrlosung? Vor
Verarmung? Traue ich meiner eigenen
Kreativität und Begeisterung nicht, etwas aus
meinem Leben zu machen, wie es mir gefällt? Traue ich meinem
Herzen nicht, dem Weg, der sich da so unbekannt gefahrvoll und
doch vertraut vor mir auftun will – und den ich beharrlich
versuche auszublenden und zu ignorieren, der aber wie ein
quengelndes Kind immer wieder an meinem Rockzipfel zerrt?
Der eigene Weg, das ist kein skrupelloser Egotrip auf Kosten
anderer Menschen. Der eigene Weg hat seine
Grundlage in hohen ethischen Werten. Es ist ein Weg von
unbeugsamer, kraftvoller Freiheit und echter,
entschiedener Liebe.
Wie wäre es, wenn wir weniger Geld hätten, aber
mehr Zeit? Mehr Zeit zu träumen, zu schreiben, zu malen; mehr
Zeit für Kreativität, zu stricken, zu häkeln,
flechten, gerben, färben; mehr Zeit für Tiere, für
den Garten, für die Arbeit; mehr Zeit, Tee zu trinken,
Freundschaften zu pflegen und an einer Gemeinschaft zu
bauen, die eine vollkommen andere Sicherheit
gibt als Geld?
Das hört sich idyllisch an – und das ist es auch. Und doch ist eine
Rückkehr zum eigenen Weg gleichzeitig mit
innerem und äußerem Ungemach
verbunden, denn wenn ich meinen eigenen Weg gehe,
dann betrete ich Neuland, dann werde ich unsicher,
dann braut sich ein Unwetter zusammen und ein
heftiger innerer Sturm zieht auf.
Viele Menschen selbstverständlich haben diese
Wahlfreiheit nicht. Nicht, weil sie keine Träume
hätten, keinen eigenen Weg, sondern weil es ihre
Lage nicht erlaubt; weil Umstände sie um die Optionen
und Alternativen berauben.
Uns aber ist es sehr wohl gegeben zu entscheiden. Wir haben
doch die Möglichkeit, einen eigenen Weg zu
entwickeln. Aber wir tun so, als wäre der
vorgegebene Weg der Konformität, der Weg der
Masse, der einzige Weg, unsere einzige
Option. Das aber stimmt nicht.
Und doch – erst wenn ich begonnen habe, diesen Weg zu gehen,
langsam, vorsichtig, ängstlich, entdecke ich in mir
eine Tiefe, aus der eine neue Entschlossenheit wächst, eine
Kraft, die mir hilft, echte Gemeinschaft zu suchen und meinem Weg
treu zu bleiben, auch wenn ich den Begriff
"Behaglichkeit" womöglich neu definieren
muss.
Wenn unsere Sehnsucht stärker geworden ist als unsere
Ängste, wenn unsere Träume beginnen, aus
Entschiedenheit konkrete Pläne zu schmieden, dann tut
sich die nächste Frage auf: Was benötige ich, dass aus
meiner Sehnsucht nicht nur ein Traum wird (um in dieser nicht sehr
herausfordernden Traumphase zu verharren, jahre- oder gar
jahrzehntelang auf irgendetwas hoffend), sondern:
Was benötige ich wirklich, damit ich aus meiner
Sehnsucht einen sinnvollen und realistischen Plan
schmieden kann?
2011/2017
An diesen Punkt zu kommen wünsche ich Dir. Wenn wir mit Dir
träumen dürfen, dann komm gerne auf eine Tasse Tee vorbei, denn wir
brauchen die Gemeinschaft der Träumenden. Wenn
Zögerlichkeit Dein Handeln einfrieren
lässt, dann wollen wir ein Feuer machen.
Das Leben ist zu wertvoll, es der Angst zum Fraß zu geben, zu
schön, um es mit der Uniform der Konformität zu
verhüllen.
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