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Möge unsere Gemeinschaft
deine Selbständigkeit und deine Selbstgenügsamkeit
nicht schmälern.
Pioniere und Einsteiger
Ganz am Anfang, in der Pionierphase, kauft eine Gemeinschaft eher noch recht viele Sachen aus dem System, denn sie produziert ja noch
nichts selbst. Und so müssen Holz, Maschinen, Werkzeuge, Tiere etc. gekauft werden. In Euro. Man hat das alles ja noch gar nicht. Das alles bezieht
die Gemeinschaft aus dem System. Gegen Geld. (Aufgeschrieben hab ich 71.000 Euro, die Bettina mit ihrer Schularbeit verdient hat, und die ich vor allem
in Baumärkten oder in der BayWa liegen lassen hab. Aber vieles hab ich auch nicht aufgeschrieben.)
Es ist in dieser Anfangsphase alles eine große finanzielle Investition ohne unmittelbare Früchte. Wer deshalb in dieser Zeit
mitmacht, hat also voll die Arschkarte gezogen, denn das Ganze trägt ja, wie gesagt, noch gar keine Früchte. Das hat jeder erlebt, der beim
Aufbau einer Solidarischen Landwirtschaft dabei war: die langen Gesichter, wenn in den Anfangsmonaten die ersten Gemüsekörbe verteilt werden.
Man hat doch so viel in die Gemeinschaft reingesteckt! Und jetzt so ein karger Gemüsekorb?
Jemand zahlt also mit Geld während der Anfangszeit für den Aufbau der Gemeinschaft, ohne zunächst die Früchte zu
ernten. Die Gemeinschaft verschuldet sich gewissermaßen bei demjenigen, der Geld zur Verfügung stellt. Diese Schulden werden von den Leuten,
die kein Geld beisteuern mit ihrer Aufbauarbeit beglichen.
Aber auch in dieser Aufbauphase werden "flankierende" Arbeiter von außerhalb trotzdem voll entlohnt, so wie es im System
üblich ist. (Und das, obwohl die Gemeinschaft noch keine Früchte abwirft.) Handwerker oder Bauern beispielsweise, die von der Gemeinschaft
für eine spezielle Aufgabe angestellt werden, erhalten den vollen Lohn: Ein benachbarter Bauer presst für die Gemeinschaft Heu zu Ballen und
erhält das Geld, das er dafür verlangt. Ein Stadtangestellter prüft etwas, zum Beispiel einen Brunnen oder ein Gebäude, und erhält
von der Gemeinschaft das Geld, das von der Stadtverwaltung für diese Arbeit vorgesehen ist. Geben wir dem Arbeiter von außerhalb nur zum Beispiel
zehn Euro für eine Stunde Arbeit. Woher kommt das Geld? Die Gemeinschaft verkauft jeden Tag in einem improvisierten Hofladen an der Straße etwa
zehn Eier zu je fünfzig Cent. Das sind also fünf Euro. Pro Tag. Der flankierende Arbeiter von außerhalb erhält also für die eine
Stunde Arbeit, die er für die Gemeinschaft tut, die vollen Gemeinschaftseinkünfte von zwei Tagen.
Es wird hier schnell klar, dass die Gemeinschaft Arbeit in finanzieller Hinsicht immer mit zweierlei Maß messen muss. Die
Gemeinschaft könnte nie einen Vollzeitgärtner anstellen oder einen professionellen Imker oder einen Schäfer, wie es in Büchern die
reichen Aristokraten in ihren schönen Gärten tun. Das Geld wäre ja gar nicht da, um diese Arbeiter von außerhalb Stunde für
Stunde so zu entlohnen, wie es im gesellschaftlichen System üblich ist, denn selbst die, die für die Gemeinschaft Geld herbeischaffen, könnten
nicht so viel Geld herbeischaffen; das ist für das Holz, das Futter, die Maschinen und Werkzeuge. (Wobei es natürlich angestrebt ist, dass diese
Kosten aus der Gemeinschaftskasse übernommen werden, in die die Erträge des Selbstversorgerprojekts fließen.) Ebenso könnte niemand aus
der Gemeinschaft selbst einen im gesellschaftlichen System üblichen Lohn für seine Arbeit in der Gemeinschaft verlangen. Das Geld wäre auch
hier natürlich nicht da. Wird eine Arbeit von jemandem aus der Gemeinschaft erledigt, so erhält dieser nichts. Die Arbeit wird einfach gemacht. Punkt.
Im Lauf der Jahre wirft das Projekt der Gemeinschaft mehr Früchte ab. Im Falle einer Selbstversorgerlandwirtschaft sind die
Obstbäume gewachsen, der Garten ist nicht mehr nur ein Meer von Unkraut, auch mehr Bienen schwirren herum und holen viel Honig in der Umgebung. Das Futter
kann aus den Einkünften des gemeinschaftlichen Projekts gekauft werden, ebenso Reparaturen an den Maschinen oder Werkzeugen und sogar der oben erwähnte
Arbeiter der Stadt wird aus der Gemeinschaftskasse bezahlt.
Wer jetzt in die Gemeinschaft einsteigt, hat nicht mehr die Arschkarte gezogen, kann von Anfang an richtig satt miternten. Der Laden läuft
ja.
Hier sagen die Pioniermitglieder vieler Gemeinschaften: Warum sollen wir die mühevolle und teure Anfangsarbeit für jene übernehmen,
die spät hinzukommen? Die sollen doch auch zahlen. Und so legen sie die Arschkarte auf den Tisch, indem sie für die Späteinsteiger beispielsweise
einen Anfangsbeitrag von mehreren zehntausend Euro pro Kopf erheben.
Ich persönlich denke, dass es ein Geschenk ist, so zu leben, an solch einem Projekt mitzuwirken, auch ohne zunächst in erster Linie
an unmittelbare Früchte der Arbeit zu denken. Hinzukommt, dass ein solches Projekt eine Art von Sicherheit bietet, die in ihrer Notwendigkeit hochaktuell
ist. Egal wie: Wenn in Zeiten zunehmender Inflation Supermarkt schon teuer ist, du in Bio-Läden schluckst, wenn du die Preise siehst und in Solawi-Projekten
doch sehr viel Idealismus gefragt ist, was die Input-Output-Waage angeht, so ist all das eben doch hochlukrativ im Vergleich zu einem Selbstversorgerprojekt. Welche
Werte sprechen dann für ein Selbstversorgerprojekt? Das ist ein anderes Kapitel.
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