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Angst vor den Nachbarn


Othello Othello Wulle Anton und Fiocco Lamm Bauwagen Anton


 

INHALT

 

Gefangen im Thema Nummer eins

Angst vor den Nachbarn

Wulle und der Arzt

Raunächte

Der Junge im Schrank

Die Corona-Insel

Aliens

 


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Angst vor den Nachbarn

Wie mir meine Tiere helfen, die Menschen ein wenig mehr zu lieben und die Welt ein bisschen besser zu verstehen.

 

Othello

 

Wenn Othello raus muss zum Gassigehen, begegnet mir manchmal Dorothea mit ihrer Hündin Leila, die aussieht wie eine gescheckte Hyäne. Und dann war da wohl auch ein Hamster in den Genen.

Jedenfalls, bevor wir in den Wald abbiegen, gehen wir meistens ein Stück auf der Straße. Das ist nicht verboten, und es sind auch nicht viele Autos unterwegs auf der Straße, außer wenn morgens die Leute zur Arbeit fahren und abends dann wieder zurück.

 

Meine Frau und ich sind mit Othello mal von den Schweizer Alpen bis Sizilien gewandert. Das war schön, mit Zelt und Rucksack durch ganz Italien. Wir haben die Italiener als äußerst hundelieb erfahren, fast schon unheimlich hundelieb aus deutscher Sicht. Othello war immer der Star, egal wo er hinkam. Na ja, eigentlich klar, denn er ist der schönste und liebste Hund auf der ganzen Welt. Ich kann die Italiener deshalb natürlich verstehen. Auf alle Fälle hat Othello in der Zeit wirklich vieles gelernt. Unter anderem geht er seitdem auf der rechten Seite der Straße. Ich finde das super.

Dorotheas Leila ist auch gehorsam, aber anders. Sie geht zwar nicht auf der rechten Seite wie Othello, dafür kommt sie immer sofort, wenn Dorothea sie ruft. Zack, ist sie da. Da kann Othello noch ganz schön was lernen. Der schnuppert immer erst noch ein bisschen rum, hebt sein Beinchen und bequemt sich dann irgendwann, langsam trottend, sein Herrchen zu besuchen. Und das nennt er dann Gehorsam.

 

Einmal war ich also wieder mit Dorothea auf der wenig befahrenen Straße unterwegs. Othello lief, wie eigentlich immer auf dieser Straße, ziemlich weit voraus. Auf der rechten Seite. Klar. Leila lief auf dem Feld neben uns und schnupperte. Ach, das mit dem Hamster stimmt nicht. Eigentlich sieht sie echt nett aus.

 

Dorothea erzählte von Weihnachten. Das war dieses Mal im Lockdown. Immer wenn ich das Wort Lockdown höre, dann denke ich an meine Hühner, die uns jeden Morgen frische Eier schenken. Wenn Hühner Dauerwellen hätten, denk ich mir, dann hätten sie Lockdown. Aber ich erzählte Dorothea nichts von meinem Wortspiel, denn ihre Stimmung war eher ernst. Ich hörte also zu, wie sie von einem illegalen weihnachtlichen Besuch erzählte.

 

"Und dann sind da die beiden am zweiten Weihnachtsfeiertag auf der Terrasse gestanden. Nanne und Elisabeth. Voll Scheiße."

"Wegen dem Lockdown?"

Sie nickte. "Ich hab sie beide schnell rein gebeten."

"Und?"

"Die eine ging in die eine Ecke, die andere in die andere."

"Ups. Tolle Stimmung."

Dorothea verzog das Gesicht und nickte. "Nach einer Weile ist Nanne auf mich zu. Die ist ziemlich klein. Da ist sie dann vor mir gestanden und hat gesagt: Scheiß drauf. Dann hat sie mich umarmt."

 

Dorothea drehte sich um. Von hinten kam ein Auto.

Othello war ein bisschen arg weit vorne. Das ist immer so, wenn ich zuhöre und nicht aufpasse, was der schönste und liebste Hund auf der ganzen Welt so macht. Aber ich weiß ja, dass er auf der rechten Seite bleibt.

Der Autofahrer fuhr langsamer und ließ die Beifahrerscheibe runter. "Hunde an die Leine!", rief er raus.

Tja, lieber Othello, du bist nicht in Italien.

Dorothea holte Luft, um irgendwas zu antworten, aber der Autofahrer hatte die Scheibe schon wieder oben. Ich finde, es ist in solchen Situationen besser, ruhig zu bleiben. Es ist seine Meinung und er hat ja keine Verpflichtung, nett zu sein.

 

Wir sagten also beide nichts, sondern suchten den Faden wieder.

Nanne und Elisabeth waren eigentlich der Faden gewesen, aber Dorothea griff die Nachbarn auf. Sie lachte. "Die Nachbarn hätten nie was gesagt. Die hatten vor kurzem Besuch. Von gut fünfzehn Leuten..."

"Aber zu dem Zeitpunkt habt ihr das ja nicht gewusst, oder?"

Dorothea schüttelte den Kopf. "Nein, deshalb hatten wir auch solche Angst. Vor allem für Elisabeth war das eine schwierige Situation. Sie arbeitet auch da, wo ich arbeite, aber auf einer anderen Station. Eigentlich ist sie sogar eine Vorgesetzte. Das war für sie wohl auch das Problem. Sie hat lange gezögert. Dann hat sie Nanne angeschaut und gesagt: Komm, scheiß drauf."

"Umarmung?"

"Ja, das war richtig Weihnachten."

 

 

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